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Stillkaries – Was ist dran?

Es ist eine Situation, die viele stillende Eltern kennen: Kaum ist der erste Zahn da, kommen Warnungen und Ratschläge, wie wichtig es sei, das nächtliche Stillen zu beenden, um Karies zu vermeiden. Auch ich wurde mit solchen Vorgaben konfrontiert als mein Kind Zähne bekommen hat – doch die "Argumente" meines Zahnarztes haben mich mehr verunsichert als überzeugt. Leider gibt es viele Mythen und Missverständnisse über Stillkaries, die wir dringend einordnen sollten.


Die Warnung meines Zahnarztes: "Kein nächtliches Stillen – sonst droht auf jeden Fall Karies!"


Als mein Kind sechs Monate alt war und gerade seinen ersten Zahn bekommen hatte, besuchte ich routinemäßig den Zahnarzt. Dort legte er mir nahe, dass ich das nächtliche Stillen so schnell wie möglich beenden sollte - spätestens aber mit einem Jahr. Er warnte mich eindringlich vor der Gefahr von „Stillkaries“ und beschrieb mir ausführlich die schwerwiegenden Folgen von frühkindlicher Karies, die oft eine Behandlung unter Vollnarkose notwendig machen würde. Als ich dann verwundert die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ansprach, die Stillen bis zum zweiten Geburtstag und darüber hinaus empfiehlt, begegnete mir mein Zahnarzt nur mit den Worten:


„Wir sind ja nicht in einem Dritte-Welt-Land.“ - Ok, wow...


Dieser Kommentar hat mich nicht nur geärgert, sondern auch verunsichert. Natürlich will ich alles dafür tun, dass mein Kind gesund ist und keine Zahnschäden davonträgt. Doch nächtliches Stillen war für mein Baby noch so wichtig. Es brauchte die Nähe, die Nahrung, die Schmerzlinderung und die Beruhigung durch die Brust. Riskierte ich durch das nächtliche Stillen die Zahngesundheit meines Kindes zu gefährden? War ich in der Verantwortung das nächtliche Stillen zu beenden? Das ungute Gefühl, das ich hatte, als ich daran dachte, hat mich dazu veranlasst mal genauer auf den Zusammenhang von Stillen und Karies zu schauen.


Die Fakten: Was die Forschung über nächtliches Stillen und Karies sagt

Es gibt zahlreiche Faktoren, die eine Rolle bei der Entstehung von Karies spielen. Um zu verstehen, warum Muttermilch allein nicht für Karies verantwortlich gemacht werden kann, ist es wichtig, diese verschiedenen Einflüsse näher zu betrachten.


1. Karies als relativ „neues“ Krankheitsbild

Wäre das Stillen von Natur aus ein Auslöser für Karies, so gäbe es diese Erkrankung seit es Menschen gibt. Doch tatsächlich ist Karies (bei Kleinkindern) ein Phänomen, das sich erst in den letzten Jahrtausenden mit dem Wandel der Ernährungsgewohnheiten ausgebreitet hat. Die häufigere und einfachere Verfügbarkeit von Zucker, verarbeiteten Lebensmitteln und anderen kariogenen Nahrungsmitteln hat Karies sozusagen „begünstigt“. Das bedeutet, dass Karies auch in kulturellen Zusammenhängen zu betrachten ist – und eben nicht allein auf das Stillen zurückzuführen ist.


2. Karies ist eine multifaktorielle Erkrankung

Die Entstehung von Karies ist vielschichtig und kann nicht auf einen einzelnen Faktor zurückgeführt werden. Die orale Bakterienzusammensetzung, genetische Prädisposition, die allgemeine Mundhygiene sowie zusätzliche Zuckerquellen, die länger an den Zähnen haften, sind entscheidende Faktoren. Gerade Letzteres ist wichtig, denn anders als bei klebrigen zuckerhaltigen Speisen oder Getränken, die an den Zähnen haften oder sie umspülen, umspült Muttermilch die Zähne nicht, wenn das Kind richtig angelegt ist, sondern fließt eher direkt in den Rachen.


3. Milchzucker in der Muttermilch – und ihre schützenden Inhaltsstoffe

Ja, Muttermilch enthält Milchzucker (Laktose), der grundsätzlich eine Nahrung für Kariesbakterien darstellen kann. Doch genauso entscheidend ist, dass Muttermilch auch spezielle Schutzstoffe enthält, die das Wachstum von Kariesbakterien hemmen. Beispielsweise besitzt Muttermilch antibakterielle Komponenten wie Immunglobulin A (IgA) und Lactoferrin sowie Mineralstoffe wie Calcium. Diese Bestandteile wirken direkt gegen Kariesbakterien, indem sie das Wachstum hemmen und den Bakterien damit den Nährboden entziehen und zur Remineralisierung beitragen. Diese Schutzmechanismen sind also sehr wirkungsvoll und bilden eine Art „natürliches Abwehrsystem“ für die Mundflora.


4. Richtiges Anlegen minimiert das Risiko

Muttermilch umspült die Zähne beim nächtlichen Stillen nicht konstant, sondern gelangt bei gutem Anlegen direkt in den hinteren Mundraum, was die Zahnbelastung reduziert.


Fazit: Nächtliches Stillen ist kein Grund zur Sorge – mit ein paar Grundregeln

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für das Entstehen von Karies viele Faktoren zusammen kommen müssen. Studien haben gezeigt, dass gerade im ersten Lebensjahr die Vorteile des Stillens überwiegen und das Stillen sogar vor Karies schützen kann. Für Kleinkinder über einem Jahr ist die Studienlage leider nicht so klar, weil es hier wenig qualitiv hochwertige Studien gibt. Hier kann ein Stillen und besonders das nächtliche Dauernuckeln gemeinsam mit den anderen Riskikofaktoren das Kariesrisiko erhöhen.


Muttermilch allein ist allerdings kein Hauptverursacher für Karies und das Wissen darum hilft uns, angstfreier an das Thema Zahngesundheit heranzugehen. Es geht vielmehr darum es ganzheitlich zu betrachten, die individuelle Situation miteinzubeziehen und die vielen Vorteile des Stillen gegen ein Risiko abzuwägen.


Das kannst du tun, um das Kariesrisiko zu reduzieren:

  • Ein- bis zweimal tägliches sanftes Putzen ab dem ersten Zahn

  • regelmäßige Kontrollbesuche beim Zahnarzt

  • keine oder nur wenig zuckerhaltige Lebensmittel (vor allem auf zuckerhaltige Getränke verzichten, da der Zahn hier in der Regel immer wieder umspült wird, bis das Getränk leer ist)

  • Kinder lieber aus einem offenen Becher, statt aus einer Nuckelflasche trinken lassen



Du bist dir unsicher bzgl. euerer nächtlichen Stillsituation und wünscht dir Unterstützung?


Schreibe mir und wir schauen uns eure individuelle Situation an.


Ich freue mich auf dich.

Deine Isabell




Quellen:

Bur, Stephanie, Fiedler, Franziska-Beatrice: Stillen und Karies,

Publikation für BFB Institut für bindungsorientierte Familienbegleitung GmbH, November 2023, abrufbar unter (https://www.bfb-institut.de/wp-content/uploads/2024/07/Stillen-und-Karies-12-2023.pdf), letzter Aufruf (05.11.2024).

Breastfeeding and the risk of dental caries: a systematic review and meta-analysis Tham, R., Bowatte, G., Dharmage, S., Tan, D., Lau, M., Dai, X., Allen, K. and Lodge, C. (2015). Acta Paediatrica, 104: 62–84. doi: 10.1111/apa.13118


https://www.stillen-institut.com/de/zahngesundheit-und-stillen.html , letzter Aufruf (05.11.2024).

Plattner, Katrin : Muttermilch und frühkindliche Karies, Juli 2011, Aufrufbar unter (https://www.stillen-institut.com/media/Facharbeit-Kathrin-Plattner.pdf), letzter Aufruf (05.11.2024).

 
 
 

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